Es gibt sie. Diese vollen Tage, an denen ich mit mir selbst schon genügend herausgefordert bin und nicht noch Lasten der Welt mittragen mag. Kommt dann der Abend, dann sehne ich vor allem nach einem: Ruhe. Und zwar möglichst schnell und unkompliziert. Sprich: alles, was atmet, soll sich bitteschön von mir fern halten.
Der Vulkanausbruch
Vor einigen Tagen ist wiedermal passiert, was halt passiert:
Erschöpft vom Tag, mache ich es mir mit einem Roman in meinem Bett gemütlich. Kaum schlage ich die erste Seite auf, stürmt ein Kind lautstark in mein Zimmer. Es hüpft ausgelassen auf meinem Bett rum und dabei stellt sich heraus, dass es weder seine Hausaufgaben gemacht, noch geduscht, Zähne geputzt oder sonst was erledigt hat, was ich ihm eine halbe Stunde zuvor bereits eindringlich aufgetragen habe.
In mir beginnt es zu brodeln. Genervt weise ich das Kind zurecht. Ok, das ist untertrieben. Ich breche aus. Wie ein Vulkan.
Während meine Schimpf-Tirade sich ungebremst über dem besagten Kind ausgiesst, schleicht sich meine jüngste Tochter leise zu uns ins Zimmer, nimmt das Häufchen Elend (=Kind) auf meinem Bett in den Arm und flüstert ihm kaum hörbar zu:
„weisst du was? Wenn Mama jeweils so mit mir spricht, dann sage ich mir innerlich einfach: ‚Mama hat mich lieb, sie hat mich lieb, sie hat mich lieb.‘“
Mama hat mich lieb!
Phu.
Ich gleiche immer noch eher einem eruptierenden Vulkan als einer liebevoll ausgeglichenen Mama und registriere gleichzeitig innerlich, was meine Tochter da gerade gesagt hat…
Die gespukte Lava erstarrt und ich halte inne.
Anderseits beindruckt mich die Resilienz meiner 8-jährigen tief. Wie krass ist das denn bitte, dass sie sich in dem Moment, wenn es um sie stürmt, dieser tiefen Wahrheit bewusst ist und sie sich selbst tröstend zusprechen kann? Ich meine: Wow. Teach me sister!
Denn sie hat ja recht: ich liebe meine Kinder. Über alles. Von Herzen. Immer. Egal was. Selbst wenn ich hundemüde bin und eine Pause brauche.
Ob ich das immer so ausdrücke ist eine andere Sache. Aber meine Liebe für sie, die ist nie in Frage gestellt. Nie!
Wenn ich das in dem Moment nicht vermitteln kann, dann hat das mehr mit mir zu tun als mit ihnen.
Die Scheibe, die ich abschneiden möchte
Meine Tochter hat die tiefe Wahrheit, die über ihrem Leben liegt, verinnerlicht: sie ist geliebt. An dieser Gewissheit kann Gott sei Dank auch ein Vulkanausbruch meinerseits nichts ändern. Sie kann es offensichtlich einordnen. Und weiss, dass das, was gerade in mir abgeht, nichts mit ihrem Wert zu tun hat. Dass die Liebe von uns Eltern gegenüber ihr fest verankert ist. Unerschütterlich steht. Und unantastbar gilt.
Ich frage mich, wie es denn mit mir aussieht…
Weiss ich mich auch so uneingeschränkt geliebt, wie meine Tochter? Mir kommen Momente in den Sinn, in denen ich mich alles andere als geliebt fühle. Wenn Menschen ihre Bitterkeit an mir auslassen. Oder ich, wie im obigen Beispiel, selbst nicht gut reagiere und zeitweise tatsächlich nicht gerade liebenswert bin. Mich in diesen Momenten nicht mal selber gern haben kann. Wir werden in unserem Leben immer wieder verletzt werden. Paradoxerweise oft gerade von den Menschen, die uns eigentlich am nächsten stehen.
Du bist geliebt
Ich realisiere, wie wichtig es auch bei mir ist, auf was oder wen ich meine Identität gründe. Kenne ich diese Stimme in mir, die mir zuspricht: „du bist geliebt, du bist geliebt, du bist geliebt“?
Die schlechte Nachricht zuerst:
Wir Menschen können nicht in jedem Moment bedingungslos Liebe vermitteln, wie mir mein nicht gerade schmeichelndes Mama-Beispiel aufzeigt. Ich scheitere ja schon an mir selbst! Auch wenn ich das ganz fest möchte. Ich enttäusche andere Menschen. Und werde auch enttäuscht.
Wenn ich also nur auf andere Menschen und auf mich baue, dann werde ich unweigerlich an Grenzen stossen. Ich kann nicht uneingeschränkt lieben.
Und doch: Was meine Tochter da verinnerlicht hat, das wünsche ich von Herzen allen Menschen. Die tiefe Gewissheit, dass man geliebt ist. Dass da jemand ist, der sagt: „du bist geliebt!“
Die gute Nachricht:
Die ersten Christen haben erkannt, dass Gott in seiner Liebe nicht begrenzt ist. Johannes schreibt:
„Wir haben erkannt, dass Gott uns liebt, und wir vertrauen fest auf diese Liebe.“ (1.Johannes 4,16)
Und auch Paulus kommt im Brief an die Römer zur Erkenntnis:
Wie wäre es, wenn Gott die Stimme in uns wäre, die uns immer wieder zuspricht: du bist geliebt!
Meine Tochter hat mich etwas Wichtiges gelehrt an diesem Abend:
Wenn ich die Wahrheit über mich kenne und verinnerliche, dann gelingt es mir, Dinge in die richtige Relation zu setzen. Als Folge lasse ich mich nicht gleich verunsichern. Dann stehe ich fest gegründet, auch wenn ein Vulkan ausbricht.
4 Antworten
wundervoll.
danke fürs teilen
Danke liebe Ivana!
Sehr beeindruckend und ehrlich Janine! Gott hat doch viele Wege, um uns seine Liebe zuzusagen, und wenn es das eigene Kind ist. Gut zu wissen, dass Versagen in Liebe umgewandelt werden kann. Das gibt Mut im Leben.
Danke liebe Mechthild für deine lieben Zeilen und diese tolle Schlussfolgerung! Genau so ist es 🙂