Bitter oder besser. Ein Ausspruch, der ein ehemaliger Chef zu sagen pflegte. Und der mir in letzter Zeit immer mal wieder in den Sinn gekommen ist.
Es ist ja kein Geheimnis, dass ich letztes Jahr in die „big 4“ gestartet bin. 40 Jahre Ich. Wow. Crazy. Irgendwie bin ich mit 40 angekommen. Es ist «stimmig» – um einen Ausdruck zu verwenden, der sich erst in meinem Alter ins Vokabular schleicht. Ich weiss grundsätzlich, wer ich bin und wer ich nicht bin. Was ich kann und was nicht. Gleichzeitig fühlt es sich auch an, als wäre man auf der weiten See. Rundum nur Horizont. Ausgesetzt, den Stürmen des Lebens.
Mit 40 macht man sich schon so tiefschürfendere Gedanken über das Leben an sich. Reflektiert über das, was gewesen ist. Über Träume die erfüllt wurden. Und jene, die geplatzt sind. Dann gibt’s noch solche, die zwar Realität wurden, nun jedoch ihren Reiz verloren haben.
Die Lebensuhr am Horizont
40 ist der Moment, in dem man sich bewusst wird, dass da tatsächlich in der Ferne irgendwo eine Lebensuhr am Horizont steht. Man scheint sie das erste Mal bewusst ticken zu hören. Und das, obwohl das Gehör in der Tendenz nachlässt (ha! – sorry, der war billig).
Es drängen sich Gedanken auf, wie: «Was will ich noch?». «War’s das?». «Und jetzt?» All die Lebensideen, die noch umgesetzt werden wollen, sollten langsam aber sicher in den Fokus rücken. Denn: wer weiss? Habe ich in ein paar Jahren noch die nötige Energie dazu? Schlaf benötige ich schon mal mehr als früher, es bleibt also noch weniger Zeit.
Man hat die eine oder andere Furche im Gesicht. Wortwörtlich.
Vielleicht ist man gezeichnet von Ernüchterung und Enttäuschung. Von Verlusten. Von Dingen, die anders kamen, obwohl man die Segel vermeintlich richtig gesetzt hat. Was mit 30 noch unbeschwert und einfach schien, ist heute plötzlich kompliziert.
Beziehungen. Gott. Man selbst.
Die Weite, die sich vor einem auftut, beschreitet man nicht mehr ganz so unbekümmert und abenteuerlustig, sondern auch ein bisschen vorsichtiger. Denn man weiss um Konsequenzen. Die jugendliche Nativität ist in weiten Teilen flöten gegangen. Das Leben ist passiert.
Gut aufhören
Vor ein paar Wochen hörte ich mir einen Podcast an und darin fiel der Satz von einem Mann (nochmals etwa 25 Jahre älter als ich), dass er „gut aufhören“ möchte. Seine Sache gut zu Ende bringen will. Er meinte damit nicht unbedingt nur seine Arbeit, sondern sein Leben an sich.
Dieser Gedanke liess mich nicht mehr los. Denn ich empfinde, dass die mittleren Jahre tatsächlich nochmals sehr wegweisend sind.
Da kommt mein Chef mit «bitter oder besser» ins Spiel.
Die Segel dazu, die scheine ich jetzt zu setzen. Mit all den Erfahrungen die ich gemacht habe. Den Schönen und den weniger Schönen. Mit allem, was zu meinem Leben dazugehört.
Bitter oder besser?
Bitter wird man, wenn man sich langfristig auf das Negative im eigenen Leben konzentriert und sich an das klammert und darüber definiert, was alles nicht funktioniert (hat). Bitterkeit ist eine tiefe Unzufriedenheit. Grund dazu hätten wir bestimmt alle in einem oder mehreren Bereichen.
Besser wird man, wenn man danach strebt, dem Negativen im Leben etwas Positives abzugewinnen. Den Fokus darauf legt, was noch möglich ist und funktioniert. Trotzdem zufrieden ist. Grund dazu, bin ich überzeugt, haben wir alle auch.
Klingt easy. Ist es aber leider nicht.
Was also kann mir helfen, die Segel so zu setzen, dass sie in die Richtung von „Besser“ steuern?
Besser
Ich habe mir drei Punkte überlegt, die mir dabei helfen können. Diese Punkte sind selbstverständlich lange nicht abschliessend, sondern als kleine Anregung zu verstehen.
1: Verantwortung für mein Leben übernehmen
Ich würde leugnen, zu sagen, dass ich nie Unzufriedenheit oder Resignation über meinem Leben empfinde. Nie traurig bin und mir nie «was wäre wenn»-Fragen stelle.
Und doch. Da bin ich. Mitten in meinem Leben. Einige Dinge darf ich bewusst gestalten und entscheiden. Anderes wurde entschieden und ich muss damit klarkommen. Verantwortung übernehmen heisst, nicht wegzuschauen. Mich zu stellen. Das Schwierige zu betrachten und als Teil von mir und meiner Geschichte anzuerkennen. Zu akzeptieren, dass ich es mein Leben lang mittragen werde. Die Frage ist jedoch: wo und wie trage ich es mit? Bin ich ausgeliefert und lasse mich vom Schwierigen steuern? Oder verstaue ich es feinsäuberlich an einem sicheren Ort ausser Sichtweite? Paulus formuliert es so:
«Ich lasse das, was hinter mir liegt, bewusst zurück, konzentriere mich völlig auf das, was vor mir liegt, und laufe mit ganzer Kraft dem Ziel entgegen, um den Siegespreis zu bekommen.» (Philipper 3,13)
2: In Freundschaften investieren
Wie oft meine ich, ich sei alleine in meinen Herausforderungen und niemand könne mich verstehen. Und ja: vielleicht geht es tatsächlich nur gerade mir so und es kann niemand so richtig nachempfinden, was ich gerade durchmache. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich Herausforderungen alleine tragen muss. Ich darf mich anderen zumuten. Mir persönlich hilft es, Freundschaften mit Menschen zu pflegen, die auch Schwäche zeigen. Die authentisch sind und nicht immer alles im Griff haben.
Freundschaften fallen jedoch nicht vom Himmel. Sie brauchen Zeit. Und oftmals bedingt es, dass ich den ersten Schritt mache und mich öffne, damit eine Freundschaft tiefer werden kann. Aber wie schon Salomon erkannte:
«Ein einzelner Mensch kann leicht überwältigt werden, aber zwei wehren den Überfall ab. Noch besser sind drei; es heisst ja: ‘Ein Seil aus drei Schnüren reisst nicht so schnell.’« (Prediger 4,12)
(Übrigens: im Herbst finden an drei Standorten in der Schweiz gemütliche „gatHER“- Abende für Frauen zum Thema Freundschaft statt. Infos und Anmeldung hier)
3: Das Ziel vor Augen halten
Wie möchte ich „enden“? Ich persönlich habe einige Personen vor Augen, die ihren „Lauf“ gut beendet haben. Die gut aufgehört haben. Das sind Menschen, die im 2. Weltkrieg jung waren. Die unten durch mussten. Sich oft fügen mussten und wenig Gestaltungsraum hatten. Und doch. Sie strahlten bis zum Ende eine Zufriedenheit und Dankbarkeit aus. Wussten, zu wem sie gehören, was ihr Fundament ist. Sie setzten ihr Vertrauen auf Gott. Das ist mir ein Vorbild. Ich weiss, dass das möglich sein kann, denn ich habe es gesehen. Das strebe ich an. Ich versuche Entscheide durch diese Brille zu treffen. Mit der Frage: bringt es mich da hin, wo ich mal sein möchte? Denn ich möchte wie Paulus mal sagen können:
„Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet und bin im Glauben treu geblieben.“ (2. Timotheus 4,7)
4 Antworten
Mega schön gschribe, i hät grad no chli lenger chönne witer läse :-). Wie wärs miteme Buech, Janine?
So guet 🙂 Ja, aso für es Buech brüüchti no chli meh Inspiration 😉 Aber Danke für dini Ermuetigung!
Liebe Janine vielen Dank für diesen Text. Ich bin 45 Jahre alt und denk mir: ja, ja genau das geht mir seit einiger Zeit durch den Kopf. Die ersten 20 Jahre war ich vorwiegend damit beschäftigt wie mich meine Aussenwelt wahrnimmt. Dann mit der „Partnersuche“ und nun, wo die Kinder langsam selbstständiger werden, mehr Zeit und Ruhe da ist, die „Aussenwelt“ nicht mehr so wichtig ist, da stelle ich mir die Frage: Was will ich? Wer möchte ich sein? Was möchte ich hinterlassen? Was soll von mir als Gedanke, Anekdote, Idee… übrigbleiben. Danke, für Deinen anregenden Text.
Danke vielmals, liebe Julia
Zum Glück darf man ja auch mit 45 noch Weichen stellen ☺️
Liebi Grüess
Janibe