Jetzt ist er da. Der Herbst. In seiner vollen Wucht. Und Kälte.
Was waren wir verwöhnt bis jetzt! Ich weiss, diese Temperaturen dürften so nicht sein. Und trotzdem habe ich sie genossen. Gefeiert. Gelebt.
Der Herbst
Als ich mir heute morgen meinen Pullover überstreife und zum ersten Mal seit langem wieder Socken anziehe, muss ich unweigerlich an die zusätzlichen Wäscheberge denken, die ich ab jetzt bis im Frühjahr wieder zu bewältigen habe. Keine Perspektive, die Vorfreude in mir weckt.
Nun sitze ich in meiner Stube. Frierend. Bereits an der zweiten Tasse Tee. Mein Blick schweift über die sich langsam verfärbenden Bäume am Pilatus. Und ich gestehe mir ein, dass der Herbst durchaus seine Schönheit hat.
Im Bewusstsein, dass es dabei nicht in erster Linie um die Frage nach Schönheit geht – oder gar darum, was ich jetzt gerade gerne hätte, damit mein Leben wohlig warm ist.
In Anbetracht dessen, was in der Welt zurzeit abgeht, ist es vielleicht sogar dran, dass es eben gerade mal nicht um mich und mein Empfinden geht.
Schönheit soll und darf ihren Reiz haben. Aber manchmal geht es um Notwendigkeit.
Die vier Jahreszeiten
Diese Notwendigkeit sehen wir an den prächtig farbigen Herbstbäumen. Sie brauchen die vier Jahreszeiten. Auch den Herbst. In der Kargheit der abgeworfenen Blätter geschieht mit der Zeit ganz Wertvolles, auch wenn es auf den ersten Blick nach einem Verlust aussieht. Denn aus den abgeworfenen Blättern entsteht wieder neuer Humus: guter und nährstoffreicher Boden, der für das weitere Wachstum der Bäume notwendig ist. Da hört mein Wissen dann auch bereits wieder auf, aber es genügt, um den Herbst nicht allzu sehr zu verpönen.
Ich stolpere in meinem Sinnieren über ein Zitat von Jeffrey McDaniel:
“Mir ist aufgefallen, dass Bäume im Herbst etwas unglaublich Ehrenvolles an sich haben, denn sie sind Experten darin, Dinge loszulassen.”
Loslassen, damit im Verborgenen neues Wachstum entstehen darf.
Ich bin der Typ Mensch, der grundsätzlich gut loslassen kann. Jedenfalls Materielles. Was seit mehr als 2 Jahren bei uns im Estrich Staub ansammelt, wird entsorgt. Oder würde entsorgt, wenn ich nicht einen Mann hätte, der der Kategorie «Jäger und Sammler» einzuordnen ist…
Anders ergeht es mir mit Träumen. Mit Dingen, die ich erreichen möchte. Mit Vorstellungen die ich vom Leben habe. Diese sind zwar nicht so greifbar wie der Kram in meinem Estrich, aber für mich doch ebenso Realität.
Diese loszulassen und mich zu verabschieden, das fällt mir schwer und ist für mich oft mit Traurigkeit oder sogar mit Versagen verbunden. Das sind persönliche Herbstmomente, die schmerzen und ganz tief gehen.
Loslassen im Herbst
Der Herbst mit seiner Kälte und seiner Tristheit erinnert mich daran, dass es Zeiten im Leben gibt, in denen wir Dinge loslassen müssen, genauso wie die Bäume ihre Blätter loslassen.
Auch die Bibel spricht vom Loslassen. Einmal mehr bin ich begeistert davon, wie lebensnah diese alten Worte sind. In seinem Gleichnis vom Weinstock und den Reben spricht Jesus genau solche Herbstmomente im Leben an:
«Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weingärtner. Er schneidet jede Rebe ab, die keine Frucht bringt, und beschneidet auch die Reben, die bereits Früchte tragen, damit sie noch mehr Frucht bringen.» (Johannes 15,1-2)
Das Beschneiden ist ein normaler Vorgang bei Bäumen und Sträuchern. Ist es nicht spannend, dass in dem Gleichnis alle Reben beschnitten werden? Ob sie Früchte getragen haben oder nicht. Ob sie gesund sind oder nicht.
Der Herbst kommt für alle.
Und auch wenn dieser Prozess schmerzhaft klingt, verbirgt sich darin gleichzeitig auch die Hoffnung, dass wieder Neues entstehen darf. Schönheit zum Vorschein kommt. Ein Neuanfang möglich ist. Bei allen Reben.
Noch etwas fasziniert mich. Bei dieser Beschneidung geht es nicht nur um das Wohl der einzelnen Rebe, um ihre Selbsterfüllung. Sondern das Ziel ist, dass sie gesunde Früchte tragen darf. Früchte, die anderen zum Segen werden.
Diesen Prozess der Reinigung und der Vorbereitung, müssen nicht nur Bäume und Reben durchlaufen. Sondern auch wir Menschen werden doch immer mal wieder in einen Herbst geführt. Beschnitten. Gezwungen, loszulassen.
Beschnitten werden und loslassen ist notwendig, um Raum und Boden zu schaffen, damit neue und gesunde Früchte wachsen dürfen. Nicht primär für meine Selbsterfüllung und mein Ego. Sondern damit mein Leben gesunde Früchte tragen darf, die den Menschen in meinem Umfeld zum Segen werden. Ein notwendiger Prozess, damit Schönheit sichtbar werden darf.
Im Gegensatz zu Reben und Bäumen darf ich als Frau in der Schweiz diesen Prozess mitgestalten. Es gibt Dinge, die habe ich nicht in der Hand, da werde ich beschnitten. In meinen Träumen. In meiner Persönlichkeit. In meiner Gesundheit.
Aber es gibt durchaus auch Dinge, in denen ich Gestaltungsfreiraum habe. Bewusst loslassen darf, damit der Boden bereit wird für Neues.
Der Gärtner im Herbst
Vielleicht lohnt es sich, mich an einem von diesen kommenden tristen Herbsttagen hinzusetzen und mit meinem Gärtner (also dem im Himmel) hinzusetzen und gemeinsam über meinen Lebensgarten zu schweifen. Bewusst hinzuschauen und zu fragen: was darf bleiben? Was soll im nächsten Frühling wieder blühen?
Und wo gibt es vielleicht auch Sachen, die ich loslassen soll? Die ich bewusst einer Beschneidung hingebe?
Das wertvolle an diesem himmlischen Gärtner ist meiner Erfahrung nach, dass er es gut meint mit mir. Dass auch wenn ich Dinge loslasse, die schmerzhaft sind, ich darauf vertrauen darf, dass er das grosse Ganze sieht.
Oder wie Jesus es mit seiner Perspektive nach diesem Gleichnis sagt:
«Ich sage euch das, damit meine Freude euch erfüllt. Ja, eure Freude soll vollkommen sein!» (Johannes 15, 11)
Mit diesem Blickwinkel weicht mein Blick vom Herbst als trist und schwer. Es keimt Hoffnung. Wenn auch vorerst nur im Verborgenen und Kalten.
Ich werde vorfreudig auf den nächsten Frühling. In dem ich hoffentlich sehen und erleben darf, was durch das Loslassen im Herbst alles neu heranreifen durfte.
Hier findest du 8 Herbstfragen, die du für dich und mit Gott bewegen kannst.